Hinweis: im Folgenden wird auf die verschiedenen Formen von Autismus eingegangen. Sollten Sie stattdessen Interesse an möglichen Ursachen von Autismus haben, können Sie sich hierüber auf unserer Seite "Wie kommt es zu Autismus" informieren.
Medizinische Diagnosen werden mit sog. ICD-Codes einheitlich benannt. ICD steht hierbei für "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems", oder gekürzt auf
Deutsch: "Internationale Klassifikation der Krankheiten".
Für Autismus ist die fachlich korrekte Bezeichnung nach ICD 11 Autismus-Spektrum-Störung (ASS). In der Vergangenheit wurde (und teilweise wird immer noch) nach dem Modell ICD 10 diagnostiziert,
wobei hier insbesondere zwischen frühkindlichem Autismus, atypischem Autismus und Asperger Syndrom unterschieden wurde. Da die Abgrenzung sich im Einzelfall als schwierig erweisen konnte und die
Übergänge bezüglich der Diagnostik zum Teil fließend waren, hat man sich entschlossen, zukünftig nach ICD 11 all diese Diagnosen unter der Diagnose "Autismus-Spektrum-Störung"
zusammenzufassen.
Auf diese Weise wird dem Umstand Rechnung getragen, dass sich Autismus in vielerlei Formen und Ausprägungen -eben in einem breiten Spektrum- zeigen kann. Im Folgenden zeigen wir Ihnen die
einzelnen Begrifflichkeiten der ICD 10 Version auf, bevor wir dann allgemein auf die Autismus-Spektrum-Störung (ASS), so wie sie nun durch die ICD 11 dargestellt wird, eingehen:
ICD-10 Schlüssel: F84.0
Frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom) ist die häufigste Form der Autismus-Spektrum-Störungen. Die Häufigkeit kann nicht exakt bestimmt werden und reicht von 4 bis 17 auf 10.000 Kinder. Die größere Vorkommenszahl aktueller Untersuchungen ist nicht zwingend als Zunahme zu verstehen, sondern kann auch in einer verbesserten Diagnostik begründet liegen.
Erste Auffälligkeiten können bereits im Säuglingsalter beobachtet werden. Hier sind insbesondere das Verweigern der Brust oder ein gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus bedeutsam. Einschlägige Symptome
treten meist vor der Vollendung des dritten Lebensjahres auf und drehen sich um drei Hauptauffälligkeiten: Störung der sozialen Interaktion, eingeschränkte Aktivitäten und Interessen,
wiederkehrende Verhaltensmuster sowie die Beeinträchtigung der Sprachentwicklung. Der Verlauf entwickelt sich in Form einer Kurve, die regelmäßig im Vorschulalter den Wendepunkt erreicht und im
Erwachsenenalter abflacht, sodass bei etwa 50 % der Betroffenen eine Verhaltensverbesserung feststellbar ist. Grundsätzlich ist der Verlauf allerdings individuell. Er kann sich verbessern,
unverändert bleiben oder verstärken.
ICD-10 Schlüssel: F84.1
Im Gegensatz zum frühkindlichen Autismus, erkranken Kinder bei der atypischen Form nach dem dritten Lebensjahr oder weisen nicht alle wesentlichen Symptome auf. Der atypische Autismus unterscheidet sich also durch das atypische Erkrankungsalter oder eine atypische Symptomatik oder einer Kombination aus beidem.
Aus diesem Grund wird atypischer Autismus oft auch als frühkindlicher Autismus mit atypischem Erkrankungsalter oder atypischer Symptomatik bezeichnet.
ICD-10 Schlüssel: F84.2
1966 von dem Wiener Kinderarzt Andreas Rett entdeckt, ist das Rett-Syndrom eine wenig bekannte Behinderung, obwohl sie bei Mädchen die zweithäufigste Form der Behinderung ist.
Die Besonderheit des Rett-Syndroms ist der Bezug zum weiblichen Geschlecht, denn die, genetisch bedingte, Behinderung betrifft fast ausschließlich Mädchen.
Die Entwicklungsstörung ist zu Beginn schwer zu erkennen, da Betroffene sich zunächst normal entwickeln und die Regression erst nach einem Entwicklungsstillstand beginnt. Vormals erlernte
Fähigkeiten bilden sich zurück.
Besondere Bedeutung hat die Handfunktion, die als stereotyp zu bezeichnen ist.
Hinzu kommen meist wiegende Bewegungen des Körpers und eine deutliche Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten. Weiteres Hauptkriterium für die Diagnose ist Gangunsicherheit, die sich in einem breitbeinigen und unsicheren Bewegungsablauf manifestiert. Messbar ist zudem eine Verlangsamung des Schädelwachstums bis zum vierten Lebensjahr.
ICD-10 Schlüssel: F84.3
Die Desintegrative Störung des Kindesalters beschreibt den Verlust oder fortschreitenden Abbau von erlangten Fähigkeiten aus dem Bereich der intellektuellen, sozialen und sprachlichen Fähigkeiten. Ebenfalls betroffen ist die Ausscheidungskontrolle, sowie das adaptive Verhalten und die Motorik. Der Beginn der Störung ist schwer erkennbar und beginnt schleichend. Deutlich wird das Störungsbild regelmäßig zwischen dem zweiten und dem vierten Lebensjahr. Vor diesem Zeitpunkt verläuft die Entwicklung normal, was für die Desintegrative Störung des Kindesalters das Hauptabgrenzungskriterium ist.
ICD-10 Schlüssel: F84.4
Die Überaktive Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien, auch Hyperkinese mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien genannt, manifestiert sich durch schwere motorische Überaktivität und repetitive Verhaltensmuster. Dabei kommt es nicht selten zu selbstverletzendem Verhalten (Automutilation). Die kognitiven Leistungen sind deutlich beeinträchtigt. Als Abgrenzungskriterium muss mindestens eine autismusspezifische Beeinträchtigung ausgeschlossen werden.
ICD-10 Schlüssel: F84.5
Eine leichte Form des Autismus bezeichnet das Asperger-Syndrom, das häufig ab dem dritten Lebensjahr auftritt. Entscheidend ist die Sprachentwicklung, die bei Menschen mit dem Asperger-Syndrom meist ohne Verzögerung verläuft. Auch die kognitiven Fähigkeiten sind in der Regel nicht beeinträchtigt.
Wesentliche Merkmale sind somit die Beeinträchtigung der sozialen Interaktion und Auffälligkeiten bei der psychomotorischen Entwicklung.
Mangelndes Interesse an Spielzeug zeigt sich in einer Form starker Fokussierung auf einzelne Gegenstände oder Themen (z.B. Uhren, Elektrogeräte, Tabellen).
In Verbindung mit dem Asperger-Syndrom wird häufig der Begriff der Inselbegabung oder der eines Savants verwendet. Präzise ist allerdings festzuhalten, dass circa die Hälfte aller Inselbegabten eine Störung im Autismus-Spektrum haben und nicht das Asperger-Syndrom automatisch mit überdurchschnittlichen Leistungen einhergeht.
ICD-10 Schlüssel: F84.8 und F84.9
Die Sonstigen tiefgreifenden Entwicklungsstörungen und Tiefgreifende Entwicklungsstörungen, nicht näher bezeichnet sind hilfsweise Ausschlussdiagnosen, die dann zum Tragen kommen, wenn andere klinische Erklärungen aus dem Bereich der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen ausgeschlossen werden können.
Low- , Medium und High-Functioning Autismus (LFA, MFA, HFA)
Die Unterteilungen in Stufen des funktionalen Autismus sind keine eigenständigen Diagnosen. Die Einteilung beschreibt lediglich den Entwicklungsstand der kognitiven Fähigkeiten des Kindes, der neben den Symptomen des frühkindlichen Autismus auftritt. Sind beispielsweise alle Symptome des frühkindlichen Autismus in Verbindung mit normaler Intelligenz feststellbar, so wird dies als hochfunktionaler Autismus bezeichnet. Der Unterschied zum Asperger-Syndrom liegt in der meist besseren Motorik. Darüber hinaus sind Faktoren der Sprachentwicklung von besonderem diagnostischem Interesse.
Nach ICD 11 Klassifikation werden die oben genannten, unterschiedlichen Ausprägungen von Autismus nunmehr unter dem Begriff Autismus-Spektrum-Störung (ASS) zusammengefasst. Autistische Menschen
nehmen die Welt oft auf eine einzigartige Weise wahr. Sie denken und fühlen anders, haben meist eine besonders ausgeprägte Wahrnehmung und achten oft auf Details, die anderen entgehen. Ihre
Stärken liegen häufig in strukturiertem Denken, Ehrlichkeit und einem besonderen Fokus auf ihre Interessen. Gleichzeitig können sie Herausforderungen in sozialen Interaktionen und der
Verarbeitung von Reizen erleben. Statt als Defizit sollten diese Unterschiede als Vielfalt gesehen werden, die unsere Gesellschaft bereichert. Letztlich bleibt es aber dabei, dass für eine
Autismus-Spektrum-Störung (ASS) oftmals Auffälligkeiten in folgenden Bereichen kennzeichnend sind:
Auffälligkeiten bei sozialen Interaktionen
Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) haben oft eine andere Wahrnehmung und Herangehensweise in sozialen Situationen. Sie können Schwierigkeiten haben, soziale Signale wie Mimik,
Gestik oder Tonfall zu interpretieren, und fühlen sich in zwischenmenschlichen Interaktionen schnell überfordert. Häufig bevorzugen sie klare Strukturen und direkte Kommunikation.
Auffälligkeiten bei der Verarbeitung von Reizen
Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) nehmen Sinneseindrücke oft intensiver oder weniger stark wahr. Geräusche, Licht, Gerüche oder Berührungen können schnell überwältigend oder kaum
wahrnehmbar sein. Diese besondere Reizverarbeitung kann dazu führen, dass sie auf eine strukturierte und reizreduzierte Umgebung angewiesen sind, um sich wohlzufühlen. Gleichzeitig ermöglicht
ihre detailorientierte Wahrnehmung oft einen einzigartigen Blick auf die Welt
Auffälligkeiten in der Kommunikation
Die Art der Kommunikation bei Menschen mit ASS ist sehr individuell. Manche sprechen wenig oder gar nicht, während andere sehr eloquent sind, aber Schwierigkeiten haben, zwischen den Zeilen zu
lesen. Bildhafte Sprache, Ironie oder Smalltalk können für sie herausfordernd sein. Eine direkte, klare und präzise Ausdrucksweise hilft oft, Missverständnisse zu vermeiden.
Besondere Interessen und Hobbys
Menschen mit ASS zeigen oft ein ausgeprägtes Interesse für bestimmte Themen oder Aktivitäten. Diese können ungewöhnlich fokussiert und intensiv sein, was zu einem beeindruckenden Expertenwissen
führen kann, manchmal von der Umwelt aber auch einfach als "Nerd-sein" abgetan wird. Gleichzeitig bieten diese Interessen eine wichtige Quelle für Freude und Stabilität im Alltag.
Sie suchen weitergehene Informationen und Fachliteratur oder Ratgeber zum Thema Autismus, die über die Informationen auf unserer Website hinausgehen? Dann werfen Sie gerne einen Blick auf unsere Auflistung mit Medien zum Thema Autismus.
© ursprünglich 2014: André Volkmann, achtsam e.V.
im Laufe der Jahre kontinuierlich erweitert und ergänzt.
Quellen:
International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD-10)
Webseite des DIMDI: https://www.dimdi.de
Universitätsklinik Marburg: Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
Neurologen und Psychiater im Netz
Das Informationsportal zur psychischen Gesundheit und Nervenerkrankungen
Universitätsklinikum Freiburg: Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsmedizin Göttingen: Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie