Hinter dem Begriff der Autismus-Spektrum-Störung, kurz ASS, verbirgt sich ein weites Spektrum verschiedener Symptome. Der Begriff der „autistischen Störung“ vereint dabei alle tiefgreifenden
Entwicklungsstörungen die in den Klassifikationsschemata ICD-10 und DSM-V aufgeführt sind. Die Bezeichnung des Autismus-Spektrums ist Ausdruck für den Ansatz, dass sich die „autistischen
Störungen“ nicht in ihrer Qualität unterscheiden, sondern nur quantitativ bezüglich des Schweregrades der Entwicklungsstörung. Störungen im Autismus-Spektrum lassen sich untereinander nur schwer
in Kategorien trennen, jedoch von anderen Störungen gut abgrenzen.
Die Klassifizierung erfolgt gemäß der Codierung des sogenannten ICD-10 Katalogs. Dabei sind zwei Versionen zu unterscheiden: Die internationale Version der Weltgesundheitsorganisation
(ICD-10-WHO) und die für Diagnosen innerhalb des deutschen Gesundheitssystems gültige Adaption ICD-10-GM. Seit Januar 2015 findet in Deutschland die Version 2015 Anwendung. Beide Klassifikationen
sind auf der Internetseite des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) frei zugänglich.
ICD-10 Schlüssel: F84.0
Frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom) ist die häufigste Form der Autismus-Spektrum-Störungen. Die Häufigkeit kann nicht exakt bestimmt werden und reicht von 4 bis 17 auf 10.000 Kinder. Die
größere Vorkommenszahl aktueller Untersuchungen ist nicht zwingend als Zunahme zu verstehen, sondern kann auch in einer verbesserten Diagnostik begründet liegen.
Erste Auffälligkeiten können bereits im Säuglingsalter beobachtet werden. Hier sind insbesondere das Verweigern der Brust oder ein gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus bedeutsam. Einschlägige Symptome
treten meist vor der Vollendung des dritten Lebensjahres auf und drehen sich um drei Hauptauffälligkeiten: Störung der sozialen Interaktion, eingeschränkte Aktivitäten und Interessen,
wiederkehrende Verhaltensmuster sowie die Beeinträchtigung der Sprachentwicklung. Der Verlauf entwickelt sich in Form einer Kurve, die regelmäßig im Vorschulalter den Wendepunkt erreicht und im
Erwachsenenalter abflacht, sodass bei etwa 50 % der Betroffenen eine Verhaltensverbesserung feststellbar ist. Grundsätzlich ist der Verlauf allerdings individuell. Er kann sich verbessern,
unverändert bleiben oder verstärken.
ICD-10 Schlüssel: F84.1
Im Gegensatz zum frühkindlichen Autismus, erkranken Kinder bei der atypischen Form nach dem dritten Lebensjahr oder weisen nicht alle wesentlichen Symptome auf. Der atypische Autismus
unterscheidet sich also durch das atypische Erkrankungsalter oder eine atypische Symptomatik oder einer Kombination aus beidem.
Aus diesem Grund wird atypischer Autismus oft auch als frühkindlicher Autismus mit atypischem Erkrankungsalter oder atypischer Symptomatik bezeichnet.
ICD-10 Schlüssel: F84.2
1966 von dem Wiener Kinderarzt Andreas Rett entdeckt, ist das Rett-Syndrom eine wenig bekannte Behinderung, obwohl sie bei Mädchen die zweithäufigste Form der Behinderung ist.
Die Besonderheit des Rett-Syndroms ist der Bezug zum weiblichen Geschlecht, denn die, genetisch bedingte, Behinderung betrifft fast ausschließlich Mädchen.
Die Entwicklungsstörung ist zu Beginn schwer zu erkennen, da Betroffene sich zunächst normal entwickeln und die Regression erst nach einem Entwicklungsstillstand beginnt. Vormals erlernte
Fähigkeiten bilden sich zurück.
Besondere Bedeutung hat die Handfunktion, die als stereotyp zu bezeichnen ist. Hinzu kommen meist wiegende Bewegungen des Körpers und eine deutliche Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten.
Weiteres Hauptkriterium für die Diagnose ist Gangunsicherheit, die sich in einem breitbeinigen und unsicheren Bewegungsablauf manifestiert. Messbar ist zudem eine Verlangsamung des
Schädelwachstums bis zum vierten Lebensjahr.
ICD-10 Schlüssel: F84.3
Die Desintegrative Störung des Kindesalters beschreibt den Verlust oder fortschreitenden Abbau von erlangten Fähigkeiten aus dem Bereich der intellektuellen, sozialen und sprachlichen Fähigkeiten. Ebenfalls betroffen ist die Ausscheidungskontrolle, sowie das adaptive Verhalten und die Motorik. Der Beginn der Störung ist schwer erkennbar und beginnt schleichend. Deutlich wird das Störungsbild regelmäßig zwischen dem zweiten und dem vierten Lebensjahr. Vor diesem Zeitpunkt verläuft die Entwicklung normal, was für die Desintegrative Störung des Kindesalters das Hauptabgrenzungskriterium ist.
ICD-10 Schlüssel: F84.4
Die Überaktive Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien, auch Hyperkinese mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien genannt, manifestiert sich durch schwere motorische Überaktivität und repetitive Verhaltensmuster. Dabei kommt es nicht selten zu selbstverletzendem Verhalten (Automutilation). Die kognitiven Leistungen sind deutlich beeinträchtigt. Als Abgrenzungskriterium muss mindestens eine autismusspezifische Beeinträchtigung ausgeschlossen werden.
ICD-10 Schlüssel: F84.5
Eine leichte Form des Autismus bezeichnet das Asperger-Syndrom, das häufig ab dem dritten Lebensjahr auftritt. Entscheidend ist die Sprachentwicklung, die bei Menschen mit dem Asperger-Syndrom
meist ohne Verzögerung verläuft. Auch die kognitiven Fähigkeiten sind in der Regel nicht beeinträchtigt.
Wesentliche Merkmale sind somit die Beeinträchtigung der sozialen Interaktion und Auffälligkeiten bei der psychomotorischen Entwicklung.
Mangelndes Interesse an Spielzeug zeigt sich in einer Form starker Fokussierung auf einzelne Gegenstände oder Themen (z.B. Uhren, Elektrogeräte, Tabellen).
In Verbindung mit dem Asperger-Syndrom wird häufig der Begriff der Inselbegabung oder der eines Savants verwendet. Präzise ist allerdings festzuhalten, dass circa die Hälfte aller Inselbegabten eine Störung im Autismus-Spektrum haben und nicht das Asperger-Syndrom automatisch mit überdurchschnittlichen Leistungen einhergeht.
ICD-10 Schlüssel: F84.8 und F84.9
Die Sonstigen tiefgreifenden Entwicklungsstörungen und Tiefgreifende Entwicklungsstörungen, nicht näher bezeichnet sind hilfsweise Ausschlussdiagnosen, die dann zum Tragen kommen, wenn andere klinische Erklärungen aus dem Bereich der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen ausgeschlossen werden können.
Low- , Medium und High-Functioning Autismus (LFA, MFA, HFA)
Die Unterteilungen in Stufen des funktionalen Autismus sind keine eigenständigen Diagnosen. Die Einteilung beschreibt lediglich den Entwicklungsstand der kognitiven Fähigkeiten des Kindes, der neben den Symptomen des frühkindlichen Autismus auftritt. Sind beispielsweise alle Symptome des frühkindlichen Autismus in Verbindung mit normaler Intelligenz feststellbar, so wird dies als hochfunktionaler Autismus bezeichnet. Der Unterschied zum Asperger-Syndrom liegt in der meist besseren Motorik. Darüber hinaus sind Faktoren der Sprachentwicklung von besonderem diagnostischem Interesse.
© 2014: André Volkmann, achtsam e.V.
Quellen:
International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD-10)
Webseite des DIMDI: https://www.dimdi.de
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